Flügelschläge hinter Gittern - Gedichte von Thomas Wessel, 2004, 158 S.
Nach der kritischen Auseinandersetzung mit Schwarz-Weisheiten war eine Veränderung meines Schreibens unumgänglich. Wann sich etwas und vor allem was sich verändern würde, entzog sich meiner Vorstellungskraft. Nach einer langen Zeit des Ausprobierens drängte sich mir die Idee auf, Gedichte zu konstruieren. Die Reimform und die Anzahl der Zeilen legte ich im Voraus genau fest und erzeugte durch diese Art von Zwang eine Freiheit im Denken. Die zweite bewusste Entscheidung betraf den Inhalt, ich wollte weg von meiner individuellen Betroffenheit, hin zu einer Perspektive von Außen, die wahrnimmt und beschreibt was hinter den Fassaden der Gesellschaft pulsiert. Abgründe und Schluchten, die mit den Mänteln des Wohlstandes und der Verschwiegenheit verdeckt, und deren grausame wie wundervolle Ausprägungen einfach ignoriert werden. Flügelschläge hinter Gittern bildet Wirklichkeiten ab, die vermeintlich nicht existieren und in manchen Kreisen nicht existieren dürfen. Die festgelegte Reimform hat sicherlich hier und da zu Verkrampfungen geführt, doch insgesamt stimme ich mit dem Buch überein und bin froh meinem Ausdruck näher gekommen zu sein.
Worte die in Wirbelwinden ungehört verschwinden werden fort getragen Wort für Wort hin zu einem namenlosen Ort unzählbare, inhaltlose Hüllen sammeln sich, sich selber zu erfüllen an diesem Wörterüberladnen Ort, pflanzen sie sich weiter fort in diesem Wörterwald die Wörter finden die durch sich den Sinn im Ausdruck binden
Worte die im Wind sich drehen, unbeseelt in jede Richtung wehen zu Moral und Normen und Gesetzen formuliert als einzig wahre Wahrheit absorbiert mit nichts als selbstgerechten Phrasen zu einem Wörterhimmel aufgeblasen der ignorant und unbeirrt jede Wirklichkeit zensiert in diesem Trugbild solche Worte sehen die bedingungslos für sich alleine stehen
Worte laut & ungehalten, aalglatt & ohne Falten gedankenlos verschwendet ohne Zahl geopfert einem grauenhaften Schönheitsideal dieses rasend schnelle, abgrundtiefe Fallen wird in leeren Worten immer wiederhallen jung, zäh & banal, flink & hart wie Stahl in diesen Wörterwasserfällen Worte halten die in sich Gefühle & Gedanken neu gestalten
Worte wie bedeutungsloses Schweben, die an Desinteresse weben gleichgültig Lethargie sich einverleiben & die Zeit mit Stillstand sich vertreiben Buchstaben regnen völlig sinnentleert in einen Fluss der selber sich verzehrt kein Geben & kein Bleiben, einzig willenloses Treiben in diesem Wörterüberfluss die Worte leben die sich & dir Bedeutung wiedergeben
Wahrscheinlich geben wir Allen die uns lieb und liebenswert sind zu wenig Liebe
In der Zeit zwischen Ebbe und Flut bleibt das Meer das Meer
in der Zeit zwischen Geburt und Tod bleibt das Leben das Leben
Die Fingerabdrücke auf meinem Glas könnten jetzt beweisen das ich hier bin oder war jedenfalls ich denn kein Fingerabdruck ist gleich einem anderen bis vor kurzem jedenfalls denn inzwischen können die schon den gleichen nein den selben Menschen noch mal herstellen ich verstehe nicht einmal ein altes Computerprogramm & die kopieren Menschen Hut ab vor soviel Fortschritt denn was wäre unser Leben wenn es nicht zwei haargenau die selben Kühe gäbe sage ich doch ! Ethik hin Ethik her schert sich doch eh keine Sau äh Kuh drum während wir Unsummen für die Vernichtung von Lebensmitteln ausgeben verhungern anderswo Kinder wer redet da noch von Ethik zumal Ethik viel weniger greifbar ist als zum Beispiel eine doppelte Kuh & die Ethik ist uneins sind behinderte Menschen nun Personen oder wie manch studierte Köpfe behaupten Nichtpersonen bei der pränatal Diagnostik setzen sich staatlich & kirchlich abgesichert & toleriert die Nichtpersonen Ethiker durch also keinesfalls von Ethik reden sondern von Fingerabdrücken wenn es mich noch mal gäbe könnte ich gleichzeitig hier sein ein Alibi durch Fingerabdrücke auf meinem Glas & irgendwo auf der Welt eine Bank ausrauben um endlich in Ruhe irgendwo sitzen & das tun zu können was mir gefällt nämlich meine Fingerabdrücke auf meinem Glas betrachten & allen Wissenschaften zu Prosten mit einem herzlichen vergelt’s Gott
Der Vogel hüpft hin und her klettert, flattert und frisst als wenn es normal für ihn wär dass er seinen Ursprung vergisst
füttert er verliebt sein Spiegelbild als einen instinktiven Zeitvertreib dann wieder rupft er sich wie wild seine Federn aus dem Leib
der Vogel hüpft auf und nieder lässt oft eine Glocke erklingen putzt sich zwanghaft das Gefieder und wagt es manchmal von Freiheit zu singen
er sieht die Welt im Gitterlicht beißt in die Gitterstäbe wie besessen verliert gelegentlich das Gleichgewicht und scheißt sich dauernd selbst ins Essen
der Vogel im Käfig singt er scheint über den Käfig zu siegen doch was ihm nicht mehr gelingt ist grenzenloses Fliegen
Sie fühlt sich außerhalb von Raum und Zeit und der Weg in eine andre Wirklichkeit ist weit traurig zieht sie sich in sich zurück kennt sich selbst in keinster Weise mehr fühlt sich völlig leer und tonnenschwer ihre Sehnsucht weint um längst vergangnes Glück die Vergangenheit als einzig lebenswertes Ziel spielt mit ihr ein grausam, schönes Spiel
nach allen Regeln der verstaubten Nostalgie weiter weg vom Leben fühlte sie sich nie Alles dreht sich nur um das Warum sie will alleine sein und dann auch wieder nicht nur aus reiner Pflicht, sieht sie jeden Tag das Licht fühlt sich in ihren Widersprüchen ausgesprochen dumm Was hat sie noch irgendwem zu geben hat sie das Recht auf solche Art zu leben?
erfüllt mit selbstzerstörerischem Denken versucht sie krampfhaft sich ins rechte Licht zu lenken und sitzt doch immer wieder nur im Licht der Selbstzerstörung Sie hat Alles was sie braucht und eigentlich geht es ihr viel zu gut ihre Wut, steigert sich bis auf ihr eignes Blut sie glaubt fast schon an eine überirdische Verschwörung kratzt sich die Haut auf bis es endlich blutet damit der Schmerz mit Ruhe sie durchflutet
und sie zurück holt in die vorgeschriebne Welt weil nur der Schmerz sie bei sich selber hält und das verstärkt noch ihre tiefe Traurigkeit am liebsten würde sie nie wieder aufstehen könnte schwerelos vergehen und die Welt aus neuer Dimension besehen was sie Andren damit antut, tut ihr schrecklich leid so wachsen ihre Angst- und Schuldgefühle und es überkommt sie eine untragbare Seelenkühle
unfähig irgendetwas konstruktiv zu machen nach Außen trägt sie dieses undeutbare Lachen und kann nichts von dem zu irgendjemand sagen weil keiner sie verstehen will und kann und immer dann fängt sie ganz leis in sich zu weinen an diese Tränen sind die ungefragten, antwortlosen Fragen die in ihr alle Kraft und Sicherheit zerstören und sie versucht in sich die Kraft der Liebe zu beschwören
die Liebe ist ihr bester Freund und schlimmster Feind die in sich Angst und Zweifel, Widerspruch und Glück vereint all die ungreifbaren und verdrängten Liebesformen bringen sie dazu mit sich und aller Welt im Streit zu liegen Anerkennung will sie kriegen und lässt von Masken sich besiegen die nichts weiter sind, als moralgetränkte Normen Sie setzt sich selber schon beim ersten Zuge matt weil sie glaubt das jedes Leben, immer gleich zu bleiben hat
Sie hat sich ganz und gar der Liebe hingegeben und irgendwie bedroht die Liebe jetzt ihr Leben Sie würde liebend gerne auf sich selbst vertrauen um all das Wundervolle angstlos zu genießen es können Blüten sprießen, wenn man sie nicht vergisst zu gießen auch auf ein lebenslanges, freies Suchen lässt sich bauen Das was sie fühlt ist unumstößlich richtig dem zu vertrauen ist entscheidend wichtig